Kunst in der Geschlossenen, Einzelausstellung im Haus Elim, Bielefeld
2002
Kunst im Schloß, Gruppenaustellung mit Anne Radecke und Andrea Köhn, Quedlinburg
Interview Mit klaus g. Loest
HELGA ZUMHOLTE
Wenn ich schon weiß wie es wird, warum soll ich es dann noch machen?
Welche Basis brauchst du für deine künstlerische Arbeit?
HZ: Ein eigenes Zimmer, wo ich ungestört arbeiten kann. Anregungen und Impulse durch Literatur, Zeitungen, interessante Modemagazine und Ausstellungsbesuche, Musik… würde ich auf einer einsamen Insel ohne Kulturereignisse leben, fiele mir nicht viel ein. Dementsprechend habe ich ein großes Archiv an Zeitungsausschnitten, Büchern, Fotos.
Gab es künstlerische Initialzündungen?
HZ: Ja, die sind mir ganz präsent. Mit 16 Jahren sah ich bei einem Schulausflug ins Folkwang-Museum, Essen, Max Ernsts surreales Ölgemälde „Les dieux obscurs“. Das unfassbar intensive Blau hat mich ins Bild hinein gesaugt und mir gezeigt, mit welcher Kraft die Malerei wirken kann. Auch Sean Scullys abstrakte Streifenbilder und der abstrakte Expressionismus eines Mark Rothko haben mich eine lange Zeit beschäftigt. Ziemlich umgehauen haben mich dann die Portraits von Elisabeth Peyton wegen ihrer emotionalen Intensität und die Zeichnungen und Illustrationen von Tina Berning, die mit ihrer Layering und Collagetechnik fazinierende neue Zusammenhänge schafft.
Welches Werk hat dich glücklich gemacht, hat in dir ein tiefes Gefühl des Gelungenen entstehen lassen?
HZ: Das war zum Beispiel bei meiner Serie, die ich „Haus und Hof“ genannt habe und die ab 2011 entstanden ist. Die Idee war, abstrakte Formen, die an Schwemmgut wie Seetang, Muscheln etc. erinnern, mit einer gegenständlichen „Erzählung“ zu verbinden. Die Szenen die ich da zusammengebaut habe, hängen mit meiner Kindheit und Jugend zusammen, darum der Untertitel: Transformation einer Jugend. Zwei Jahre habe ich an dieser Reihe gearbeitet und sie war in vielerlei Hinsicht ein Wegweiser. Mich nämlich mit den Themen zu beschäftigen die mich am stärksten berühren und auszublenden wie andere darüber denken. Außerdem war ich froh darüber, dass der Zusammenklang von Abstraktion und gegenständlicher Darstellung funktionierte und die freien Formen, die wie Störfaktoren sein sollten, es auch sind.
Eine intensive Farbigkeit kennzeichnet deine Werke von Beginn an, bis zu deinen heutigen Arbeiten. Ein immer noch wunderschönes Farbfeldgroßformat von dir hängt bis heute in unserer Wohnung. Was sich hingegen stark gewandelt hat, ist die Form, der Stil.
HZ: Ja, die ersten Jahre habe ich abstrakt gemalt, Farbwirkungen ganz direkt erzeugt, mit Pigmenten selbst die Farben hergestellt, da sollte das Unmittelbare direkt auf der Leinwand sichtbar werden. Dann, das ist auch schon weit über fünfzehn Jahre her, begann ich meine realistischen Studien. Es entstanden erste Portraits, anfangs von Kindern, dann von erwachsenen Menschen jeden Alters, erst nach meinen Fotos, später saßen sie mir oder meinem Zeichenkreis Modell. Von der Skizze bis zur großformatigen Ausführung, vom Aktzeichnen bis zur Studie in Alltagskleidung im Wohnzimmer von Auftraggebern, von der Kreidezeichnung bis zum Ölgemälde war mein Ziel, wesentliche Persönlichkeitsmerkmale darzustellen.
Auffällig sind häufig die Körperhaltungen und die Positionierung der Körper im Bildraum.
HZ: Gerade bei jungen Leuten finde ich es interessant die ganz spezifische, individuelle Körperhaltung darzustellen. Die Persönlichkeit drückt sich natürlich auch in der schnellen Bewegung aus, die ich auf dem Bild fixiere. Da gab es eine Phase, wo mich Luftsprünge, Grätschen im Fußball, eigenwillige Tanzbewegungen besonders faszinierten. Und die Positionierung im Bildraum kann zum Beispiel Einsamkeit oder Zugewandtheit ausdrücken, ein klassisches Mittel der Malerei.
Heute gibt es für die bildende Kunst eine große Variationsbreite beim möglichen Material.
HZ: Gern benutze ich bis heute neben Öl-, Tempera- und Acrylfarben auch Farbstifte und Kreide. Vor einiger Zeit begann ich auch Kleinskulpturen, Portraits von Menschen, Köpfe oder menschenähnlichen Wesen in 3D zu formen und zu bemalen. In meiner neuesten Arbeit habe ich diese in Plexiglaswürfel zusammengesperrt, wie Schweine im Schlachthof, da haben sie nochmals eine ganz andere Wirkung. Als literaturbegeisterte gelernte Buchhändlerin habe ich Buchseiten übermalt, so dass die noch lesbaren Textfragmente und die Figuren miteinander korrespondieren. Erste Versuche gab es mit Kurzfilm-Beamerprojektionen auf meine Bilder.
Es gibt Autoren, die wissen schon beim ersten Satz ihres Romanes, wie dieser endenwird, wohin sich die Protagonisten entwickeln werden.
HZ: Es gibt ja den berühmten Satz von Picasso: Wenn ich schon weiß wie es wird, warum soll ich es dann noch machen? Oder so ähnlich. Die Routine beim künstlerischen Arbeiten versuche ich zu vermeiden. Wenn ich mich eine längere Zeit mit einem Thema beschäftigt habe und schon weiß was dabei raus kommt, interessiert es mich nicht mehr. Ich möchte auch nicht perfekt werden. Perfekt eingerichtete Wohnungen, perfekte Zeichnungen, perfekte Menschen das finde ich beklemmend. Zur Durchbrechung benutze ich Techniken: zum Beispiel zeichne ich dann, als Rechtshänderin mal mit der linken Hand – mit dem Ergebnis bin ich immer sehr zufrieden, weil die Arbeiten fast kindlich, jedenfalls ganz unmittelbar wirken. Oder verwende Pappen, die ich als Pailetten benutzt habe, als Inspiration für neue Bilder.
Was ist für dich das vollkommene Glück?
HZ: Im Flow sein in meinem Atelier mit der genau passenden Musik, tanzen, in der Natur sein, mit meiner Familie oder Freunden eine gute Zeit haben und natürlich auch eine Wertschätzung meiner Arbeit zu erfahren.
Welche Kunstausstellung fandest du herausragend gut. Lieblingsbücher, Filme?
HZ: In den Deichtorhallen am Hamburger Hafen die Ausstellung „jetzt“ über die riesige Bandbreite junger Malerei in Deutschland (2020). Es ging um die Weiterentwicklung der klassische Tafelbildmalerei. Gelesen habe ich mit großer Faszination Karl Ove Knausgards Romanzyklus „Min Kamp“ und vor kurzem „Die Unschärfe der Welt“ von Iris Wolff.
Welche Eigenschaft schätzt du an dir besonders?
HZ: Ich kann ganz gut kochen, habe einen guten Musikggeschmack und bin ziemlich emphatisch, außerdem kann ich mit der rechten und der linken Hand gleichzeitig schreiben und zeichnen.
Was macht Dich nervös?
HZ: Weitschweifige Reden, die niemals aufhören wollen, deshalb muss dieses Interview jetzt auch enden.
Bielefeld, den 31.10.2020.
Die Interviewfragen stellte Klaus-Georg Loest. Klaus war 30 Jahre stellvertretender Leiter der Stadtbibliothek Bielefeld.